Stadtwappen HardegsenHardegser Fotomuseum

Übersichtskarte

Das Sägewerk an der Ölmühle

von Andreas Lindemeier

Viele Jahrhunderte lang lag ein stattliches Gebäudeensemble am östlichen Stadtrand von Hardegsen direkt an der Espolde: die Ölmühle. Die alte Landstraße führte direkt vorbei. Heute schneidet die ausgebaute Bundesstraße den westlichen Rand des Geländes und von den alten Gebäuden steht nichts mehr. Alte Grundmauern lassen auf frühere Gebäudestandorte schließen, auf die Reste eines Wehrs. Die Gebäude, die heute dort stehen, wurden fast alle erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts errichtet. Ein eingefasster Grabenlauf und ein ausgemauertes Gerinne machen es möglich, den Weg des Wassers von der Espolde auf das Wasserrad einer Mühle nachzuvollziehen.

Ölmühle (Signatur li_1216)

Das alte Wehr in der Espolde. Von hier wurde Wasser abgezweigt

Ölmühle (Signatur li_1226)

Der eingefasste Graben, über den das Wasser zum Mühlrad lief

Ölmühle (Signatur li_2032)

Das ausgemauerte Gerinne, über das das Wasser direkt auf das Mühlrad lief

Im heutigen Gebäudekomplex befinden sich rechts hinten das Büro und die Ausstellungsräume eines Parketthandels, den Dirk Moews 1991 in Hardegsen gründete und heute mit seinem Sohn Sascha führt.

Ölmühle (Signatur li_1234)

In dem Fachwerkhaus im Hintergrund wohnt die Familie Moews. Früher waren hier die Büroräume der Firmen Johannes Schonlau und später Werner Gerwig. Ganz hinten links steht eine Lagerhalle für Baumaterial und in der Mitte befinden sich die großen ehemaligen Zimmereihallen. Ganz links steht ein gemauertes Gebäude, in dem Christopher Moews, ein weiterer Sohn von Dirk Moews, die Werkstatt und das Lager für seinen Innenausbaubetrieb eingerichtet hat.

Dirk Moews war der Schwiegersohn von Werner Gerwig, damals verheiratet mit dessen Tochter Christine.

Werner Gerwig kam aus Asche, engagierte sich sehr stark kommunalpolitisch und war von 1991 bis 1996 Bürgermeister der Stadt Hardegsen.

Zur Geschichte der Ölmühle

Karl Lechte schreibt in seiner Chronik der Stadt Hardegsen »Die in dem Espoldedurchbruch zwischen Galgen- und Gladeberg gelegene Hardegser Ölmühle gehörte ursprünglich zu dem zur Wüstung gewordenen Dorfe Bartshausen, wie auch die Ländereien ‚über der Schlagmühle›, die in der Bartshäuser Feldmark lagen.« (1)

Verschiedene Quellenhinweise legen nahe, dass sich seit dem 16. Jahrhundert eine Ölmühle an diesem Standort befand, bis 1889 wurde sie als »Schlagemühle« bzw. »Slagmölen« geführt. Sie produzierte Lein-, Buchecker-, Raps und Mohnöl. Das Espoldewasser lieferte die Energie, um über das Mühlrad und Transmissionen die Mahlsteine und Pressen anzutreiben.
Karl Lechte schreibt dazu:« Die getrockneten Früchte wandern zunächst in den Kollergang. Hier werden sie zwischen zwei Mühlsteinen zerquetscht und zu Brei zermahlen. Die Masse kommt jetzt in einen Tiegel zum Erhitzen. Ein großer Rührknüppel, den das Mühlgetriebe dreht, sogt dafür, dass sich die Masse nicht ansetzt. Jetzt kommt der Brei in Tücher und anschließend in den Pressblock, der aus einem alten Eichenstamm gezimmert ist. Aus dieser Presse tropft das Öl durch Löcher in einen Bottich. Dann wird es in Tonkruken aus Fredelsloher Töpfereien abgefüllt und in die Haushalte abtransportiert. Der hart gepresste »Ölkuchen« ist ein wertvolles Kraftfutter für die bäuerlichen Betriebe.« (1)

Genauere Informationen zur Funktion alter Schlagmühlen erhält man, wenn man im Internet »Historische Ölmühlen« sucht.

Der Niedergang der Ölmühlen begann im 19. Jahrhundert, als der Anbau von Flachs unrentabel wurde, als Petroleum die Ölfunzeln in den Häusern aufleuchten ließ und das heimische Raps- und Mohnöl durch die Einfuhr billigerer Öle verdrängt wurden.

Auch die Familie Krengel, die die Hardegser Ölmühle 1837 kaufte, stellte ihre Produktion um. Bis 1889 war die Schlagmühle noch in Betrieb, dann wurde das Schlagwerk entfernt.

Die Hardegser Mühle lag an einer wichtigen Handelsstraße, die vom Leinetal in den Solling führte. Hier waren viele Holzfuhrwerke unterwegs, die aus dem waldreichen Solling kamen und Bauholz transportierten. Das mag der Grund dafür gewesen sein, dass Mühlenbesitzer Ernst Krengel 1864 die Konzession erhielt, eine Holzsägemühle zu betreiben.

Am 16. Dezember 1910 vernichtete ein verheerendes Feuer das gesamte Anwesen. Einige Jahre lag der Platz leer und verlassen da. Familie Krengel zog nach Hardegsen in die Lange Straße 4. Ein Nachfahre war von 1932 – 1946 in diesem Gebäude Posthalter der mittlerweile kleinen Poststelle Hardegsen.

Sägewerk

Im Jahre 1918 errichtete Herrmann Wesche aus Göttingen ein neues Sägewerk am Standort der alten Ölmühle. Im Laufe der Jahre entstanden dann zwei Wohnhäuser und zusätzlich eine Tischlerei.

Ölmühle (Signatur li_1218)

Blick von Norden auf den Gebäudekomplex, ca. 1940: Direkt an der Straße das Wohnhaus, rechts davon Schuppen mit dem Sägewerk, dahinter Lagerschuppen. Der Gladeberg ist gerade vom Rechsarbeitsdienst aufgeforstet (1939).

Hermann Wesche war Zimmermann und heiratete 1912 Louise Korengel. (3) Louises Eltern, Gustav und Hermine Korengel, unterstützten das junge Paar mit einer beträchtlichen Summe, doch Hermann Wesche geriet in Geldnot.

Die Ehe der beiden wurde 1934 geschieden, für damalige Verhältnisse ein Skandal. Louise Wesche musste die Schulden ihres Mannes abtragen. Hermann Wesche starb im September 1946.

Wie Hermann Wesche den Betrieb führte, ist nicht belegt. Karl Lechte schreibt lediglich in der Chronik der Stadt Hardegsen: »Im Jahre 1937 kaufte Zimmer- und Mauermeister Johannes Schonlau den ehemaligen Zimmereibetrieb Wesche und richtete dort ein Sägewerk mit Zimmerei ein«.

Belegt ist aber, dass Karl Kistner 27 Jahre lang als Werk- und Zimmermeister das Sägewerk leitete. Er war 1919 aus Jühnde nach Hardegsen gekommen, wo er seine Frau Dorette geheiratet hatte. Das Ehepaar zog in das Wohnhaus, das im Bereich der Ölmühle oben an der Landstraße stand.

Ölmühle (Signatur li_1219)

Die Baumstämme für das Sägewerk wurden mit Pferde- oder Traktorenfuhrwerken angeliefert und oben auf der Straße abgekippt. Sie rollten den Berg hinunter auf den Lagerplatz. Von dort wurden sie auf kleine Loren gehoben und über Schienen zur Säge geschoben.

Die Säge wurde anfangs mit Wasserkraft vom Mühlrad über Transmissionen angetrieben. Das Wasser zweigte man 300 Meter bachaufwärts von der Espolde ab. Später wurde eine Dampfmaschine eingesetzt. Durch die Inbetriebnahme des nahen Umspannwerks im Jahre 1920 stand bald auch elektrischer Strom für eine Turbine zur Verfügung.

Wie lange Hermann Wesche in dem Sägewerk aktiv war, wer der Eigentümer beim Verkauf 1937 an Johannes Schonlau war, ist bisher nicht belegt. Gab es einen Rechtsanwalt, der treuhänderisch tätig war? Viele Fragen zu den Besitzverhältnissen bleiben offen. Karl Kistner war über lange Jahre hinweg Pächter und trug die finanzielle Verantwortung. Er baute 1937 ein Wohnhaus in der Göttinger Straße, vermietete es zuerst und zog dort ein, als er 1946 seine Rente antrat.

Ölmühle (Signatur ger_0027)

Auf dem skizzierten Lageplan ist der Gebäudebestand von ca. 1965 und der Verlauf des Wassers von der Wehranlage zur Turbine eingezeichnet.

1968 kaufte Maurermeister und Architekt Werner Gerwig das Sägewerk mit Zimmereibetrieb und Bautischlerei von Johannes Schonlau und übernahm die gesamte Belegschaft.. Werner Gerwig führte in Asche ein Baugeschäft, das er 1962 von seinem Vater übernommen hatte, seit 1952 war er Teilhaber. Alfred Gerwig, wie sein Sohn Architekt und Maurermeister, gründete den Betrieb 1933 in Asche. Mitte der 1950er Jahre hatte das Baugeschäft 86 Mitarbeiter, davon waren 16 Lehrlinge. Ab 1968 waren dann das Sägewerk, die Zimmerei und die Bautischlerei mit dem Baugeschäft, einschließlich einer kleiner Schlosserei am Standort Ölmühle zusammengelegt, sodaß die Firma schlüsselfertige Häuser anbieten konnte. 1970 und 1971 wurde eine große Zimmereihall errichtet und auch das Büro, das sich noch in Asche befand in das neue Betriebsgelände verlegt.
1991 wurde ie bisherige Einzelfirma in die Gerwig Bau GmbH umgewandelt. Bis zu seinem Tod am 27.5.2008 arbeitete Werner Gerwig in seinem Betrieb.

Ölmühle (Signatur li_0012)

Dorette Kistner vor dem Wohnhaus direkt an der Landstraße, auf dem Rad Enkelsohn Walter Kistner

Gegenüber der Einfahrt ins Sägewerk wohnte bis 1973 Marta Flörke in einer Holzbaracke direkt an der Landstraße. Dieses sehr einfache Holzhaus stand vorher zusammen mit einer ähnlichen Baracke auf einem Plateau im Steinbruch der Zementfabrik. Hier lebte während des Zweiten Weltkriegs eine Familie deutscher Sinti. (2) Eine der Baracken wurde 1946 an den Schrägweg, der vom Mühlenstieg in den Steinbruch führt, umgesetzt. Heute wird sie vom Anglerverein genutzt. Die zweite Baracke wurde Ende der 1940er Jahre von Zimmermeister Johannes Schonlau abgebaut und gegenüber seinem Sägewerk in einen kleinen Steinbruch direkt an der Landstraße wieder errichtet. Der Standort liegt schräg gegenüber der Einfahrt zum heutigen Betriebsgelände.
Das Haus hatte zwar einen Stromanschluss, aber kein fließendes Wasser.

Frau Flörke zog hier ein. Sie war 1894 in Espol als Marta Kleine geboren, hatte in Sorsum bei Hildesheim Hermann Flörke geheiratet und zog mit ihm zunächst in ein Haus der Bahn, gegenüber dem Bahnhofshotel. Das Ehepaar hatte zwei Kinder. Tochter Marta heiratete den Bäckermeister Helmut Sprenger aus Schlarpe. Marta Flörke senior half ihrem Schwiegersohn beim Ausfahren der Backwaren. Daher kennen viele ältere Hardegser Einwohner_innen Marta Flörke als freundliche Bedienung im Brotwagen des Schlarper Bäckers.

Ölmühle (Signatur ger_0016)

Der Gebäudekomplex an der Ölmühle. Oben an der Straße das kleine Holzhaus mit gepflegtem Vorgarten direkt an der Bundesstraße.

Frau Flörke legte vor ihrem Haus, direkt an der Straße, einen kleinen, bunten Blumengarten an. Bis heute wachsen im Frühjahr ein paar Osterglocken im dichten Gestrüpp an dieser Stelle.

Marta Flörke wurde von Gegenüber aus dem Wohnhaus am Sägewerk täglich mit Trinkwasser versorgt. Den Arbeitern des Sägewerks verkaufte sie Bier und Zigaretten. Das übernahm später Irene Scholz, die mit ihrem Mann Georg und den Kindern Andreas und Regine in dem Wohnhaus am Sägewerk lebte. Marta Flörke starb 1973 im Alter von 79 Jahren in ihrem Haus an der Ölmühle.

Die Holzbaracke wurde Ende der 1980er-Jahre im Rahmen einer Großübung durch die Freiwillige Feuerwehr Hardegsen niedergebrannt und die Reste entsorgt. Heute wächst dichtes Gestrüpp auf dem ehemaligen Grundstück.

Ölmühle (Signatur li_1227)

Der alte Kartoffelkeller der Familie Korengel

Ein weiteres kleines Bauwerk gegenüber dem ehemaligen Sägewerk, direkt an der Straße im Hang zum Galgenberg, hat seit zweihundert Jahren Bestand. Es ist der ehemalige Kartoffelkeller der Familie Korengel, der auch die Obstwiese oberhalb des Kellers gehört. Im Sturz oberhalb des Eingangstors ist das Jahr 1803 eingraviert, vermutlich das Baujahr. Zwischen den Jahreszahlen sind die Initialen HCP zu erkennen. Sie stehen für Hans Christian Petersen, einen ehemaligen Gastwirt in der Langen Straße. Er betrieb eine Wirtschaft in dem Gebäude, das heute das Hotel Illemann beherbergt. Wie Petersen den Keller nutzte, ob als Eis- oder Vorratskeller, ist nicht bekannt.

Vielen Dank an Christiane Korengel-Rittmeier für die Informationen zum Kartoffelkeller und an Anny Wielert aus Schlarpe für die Hinweise zu Marta Flörke. Vielen Dank auch an Walter Kistner für die Informationen und Bilder vom ehemaligen Sägewerk Wesche und an Christine Gerwig für Informationen und Bilder zum Betrieb ihres Vaters.

(1) Karl Lechte, Chronik der Stadt Hardegsen, 1968. S. 192ff
(2) siehe Album »Am und auf dem Mühlenstieg«
(3) siehe Album »Göttinger Straße – Die Geschichte des Hofes Korengel«

Lektorat Sus Hösel