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Nationalsozialistische Fertigungsange mitten im Wald

von Andreas Lindemeier

Ganz am nordwestlichen Rand des Hardegser Gemeindegebietes, kurz vor Volpriehausen, liegen fünf massive, langgestreckte und acht kleinere Backsteingebäude mitten im dichten Wald. Das gesamte Areal ist durch einen hohen Drahtzaun gesichert. Es ist das letzte auf Gemeindegebiet noch erhaltene Zeugnis nationalsozialistischer Rüstungsindustrie und Zwangsarbeit. Hier befand sich eine Munitionsfabrik.

Man erreicht das Gebiet mit dem Auto über die Bundesstraße 241 bis zur Ausfahrt Volpriehausen, dann rechts in Richtung Bollertsmühle. Dort in der Nähe parken. Links zweigt eine geteerte Straße zum ehemaligen Fertigungsgebiet ab, die nicht befahren werden darf.

Munitionsfabrik (Signatur li_1140)

Das heutige Tor in die ehemalige Fertigungsanlage

1938 übernahm die Wehrmacht die Kalischachtanlagen »Wittekind« in Volpriehausen und »Hildasglück« über Ertinghausen, um dort Munition zu fertigen. Nach der Übergabe der Anlagen im August 1938 begannen umfangreiche Abbruch- und Neubauarbeiten auf »Wittekind«.

1939 setzte das Heeresbauamt Hildesheim seine Planungen zum Bau des Fertigungsgebietes (F-Gebiet) am Ostrand des Dorfes mitten im Hochwald um. Dort sollte die Munition gefertigt und anschließend über eine Stichstraße mit Lastwagen zur Einlagerung in die unterirdischen Lagerkammern im ehemaligen Bergwerk »Wittekind« transportiert werden.

Der Standort der Anlage im Wald war sehr günstig, da sie gut getarnt und an einem Steilhang gelegen waren. Die zwölf Gebäude wurden über eine Trafo–Station versorgt und hatten eine zentrale Wasserversorgung und eigene Kläranlage. Das ehemalige Fertigungsgebiet war Eigentum des Deutschen Reichs. Es hatte eine Größe von 24 ha, von denen 3600 qm bebaut waren.

Zunächst beschäftigte die Muna hauptsächlich deutsche Arbeitskräfte, nach Kriegsbeginn aber vermehrt Frauen des Reichsarbeitsdienstes, deportierte Frauen und Jugendliche, männliche Häftlinge aus dem Konzentrationslager Moringen.

Die Fertigung wurde 1940/41 aufgenommen und lief bis zum Frühjahr 1945. In den Munitionsarbeitshäusern 1 und 2 im F-Gebiet wurden Kartuschen des Kalibers 7, 5 cm für Infanteriegranaten hergestellt. Die benötigten Teile wurden mit der Bahn geliefert und über die Stichstraße mit Lastwagen ins F-Gebiet transportiert. Im Munitionsarbeitshaus 4 wurden Granaten schussfertig gemacht, im Munitionsarbeitshaus 5 Treibsätze für Granatwerfer abgewogen und in Kunstseidenschläuchen verpackt. In jeder Halle arbeiteten 80-120 Frauen.

Munitionsfakrik (Signatur li_1137)

Aus der Ferne ein Blick auf die Hallen der ehemaligen Heeresmunitionsanstalt, Foto von 1952

Die Untertageanlage von »Wittekind« war ursprünglich nur für die Lagerung der Munition geplant. Dort wurden mehr als 260 Munitionskammern in das Steinsalz gesprengt. Anfangs war die Muna für eine Lagerkapazität von 13.000 t konzipiert, sollte aber für bis zu 30.000 t ausgebaut werden. Nachdem bis 1942 nur einzelne Produktionsteile im Schacht lagen, folgte zwischen November 1943 und März 1944 wegen der Gefahr von Bombardierungen der vollständige Umzug der Fertigung in Munitionsarbeitsräume unter Tage.

Die Munitionsherstellung lief bis ins Frühjahr 1945, kam aber immer wieder durch Lieferverzögerung von Pulver und Zündern ins Stocken. Am 10.April 1945 besetzten Truppen der US-Army kampflos die Muna.

Während durch verheerende Explosionen die Schachtanlage »Wittekind« zerstört wurde (siehe Album »Hildasglück«), blieben die Gebäude im Fertigungsgebiet weitgehend unbeschädigt. Infolge des Abwurfs einer Luftmine am 31.12.1944 wurde lediglich ein Teil des ersten Munitionsarbeitshauses beschädigt.

1945 hatte Konrad Athenhöfer die Idee, sich selbstständig zu machen, um Speisefette zu produzieren. Er verhandelte mit der britischen Militärregierung um eine geeignete Produktionsstätte. Ihm wurde zunächst das Gelände eines ehemaligen Industriebetriebes in Clausthal-Zellerfeld angeboten, das für ihn allerdings ungeeignet war. Darauf bot man ihm die Gebäude im ehemaligen F-Gebiet an. Nach langwierigen Verhandlungen mit der britischen Militärregierung und den deutschen Behörden in Hannover gelang es, einen Pachtvertrag für das Gelände auszuhandeln.

Munitionsfabrik (Signatur li_1138)

Blick aus Westen auf die Gebäude der ehemaligen Heeeresmunitionsanstalt, Foto von 1952, Konrad Athenhöfer

Im Juli 1946 wurde dann die »Klausner Nährmittel- und Speisefettfabrik K. Athenhöfer KG« gegründet. Den Firmennamen Klausner (Klause = Einsiedelei) wählte er in Anlehnung an den zuerst geplanten Firmensitz Clausthal – Zellerfeld, traf aber auch passend auf das abgelegene F-Gebiet zu. Die Militärregierung genehmigte die Aufnahme der Produktion.

Bis Oktober 1946 waren bis auf die Halle 1 die dringendsten Reparaturen abgeschlossen, so dass die Produktion von Fetten anlaufen konnte. 1947 gab es bereits 39 Beschäftigte, überwiegend Frauen, die als Vertriebene in die Region gekommen waren. Die Produktion wurde auf Fertigsuppen, Suppenwürze, Back- und Puddingpulver ausgeweitet.

In den folgenden Jahren wurden die fünf lang gestreckten Hallen genutzt für:

Im Januar 1948 waren 109 Mitarbeiter bei Klausner tätig, 80 davon waren Vertriebene.

Der Pachtvertrag für das Gelände des ehemaligen Fertigungsgebietes lief Anfang der sechziger Jahre aus. Daher erwarb Konrad Athenhöfer 1957 das Gelände der früheren Brikettfabrik am Bahnhof in Volpriehausen, um dort einen Fabrikneubau zu errichten. Das Gelände lag sehr verkehrsgünstig und hatte einen eigenen Bahnanschluss.

Im Jahre 1963 wurde schließlich mit dem Neubau der Fabrik am Bahnhof begonnen. Ein Jahr später, am 10. September 1964, startete die Produktion von »Okey-Fertigkuchen«. Die massiven, vollständig erhaltenen Gebäude im ehemaligen F-Gebiet standen wieder leer.

Die Bundesanstalt für Liegenschaften, die das dem Bund gehörende Gelände verwaltete, versuchte, immer wieder neue Mieter zu finden. Das Gebäude wurde zeitweise von der Bundeswehr als zentrales Verbandslager, von Landwirten zur Unterstellung ihrer Maschinen, als Lagerhallen (die Stadt Hardegsen nutzte zeitweise eine dieser Hallen), als Jagdrevier und zur Champignonzucht genutzt. Nach langem Leerstand wurde das Gelände schließlich 2020 verkauft.

Ich bedanke mich recht herzlich bei Detlev Herbst für seine Unterstützung. Als Experte der Bergbau- und Muna Geschichte betreut er das Kalibergbaumuseum Volpriehausen und hat viel zu der Thematik veröffentlicht. Ich habe mich sehr an seine Ausführungen angelehnt.

Ich empfehle die Homepage www.volpriehausen.com, auf der Detlev Herbst sehr detailliert die Geschichte der Heeresmunitionsanstalt Volpriehausen mit F-Gebiet und die Firmengeschichte Klausner dargestellt hat.