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Löwen für den Wildpark?

von Andreas Lindemeier

1989 startete die letzte spektakuläre Initiative, im Espoldetal eine Attraktion anzusiedeln, um die negative Entwicklung im Hardegser Fremdenverkehr aufzufangen.

Von den einst im Jahr 1976 verzeichneten 50.000 Übernachtungen verblieben 1991 noch rund 16.000 (siehe dazu Album »Entwicklung des Hardegser Fremdenverkehrs«). Ferner waren die Entwicklung und Finanzierung des 1965 eröffneten Wildparks ungewiss.
In dieser Situation traf eine Anfrage des Tierausbilders Joe Bodemann aus Meine, einer Gemeinde nördlich von Braunschweig, auf großes Interesse. Er schlug der Stadt Hardegsen vor, im Wildpark eine Filmtierschule anzulegen.

Bodemann hatte seit den 1980er Jahren eine Hunde- und Filmtierschule in einem Ortsteil von Meine betrieben. Seine Dressurschau auf einer Freilichtbühne erlangte überregionale Bekanntheit. Auf der 46.000-Quadratmeter-Farm lebten über 60 Tiere, vom Königstiger bis zum Huhn, sie wurden u.a. für die Mitwirkung an Filmen trainiert. So stellte Bodemann eine dressierte Ratte für den Kinostreifen »Der Name der Rose«, einen Löwen für eine Hemingway-Verfilmung und den Hund Jerry für die beliebte Fernsehserie »Schwarzwaldklink« zur Verfügung. Die Anlage in Meinholz wurde aber bald für das expandierende Unternehmen zu klein, Bodemann suchte in mehreren Kommunen nach einer größeren Alternative. So kam auch Hardegsen ins Spiel.

Ende November 1989 wurde das Projekt erstmals im Rat der Stadt diskutiert. Die Hessisch/Niedersächsische Allgemeine (HNA) berichtete: »Der Rat der Stadt ist davon überzeugt, ein ‚tolles Projekt› an der Angel zu haben.« Der damalige Stadtdirektor Werner Renner, nach HNA-Angaben der Hauptinitiator des Projekts, forderte den Rat in der Sitzung auf, jetzt klar Flagge zu zeigen. Mit überwiegender Mehrheit stand der Rat dem Projekt positiv gegenüber. Lediglich die Finanzierungsmöglichkeiten wurden kritisch hinterfragt. Besonders Ratsherr Kurt Meißner meldete hierzu Bedenken und merkte an, dass die Stadt ständig finanziell in Vorleistung trete, um den auf dem absteigenden Ast befindlichen Fremdenverkehr anzukurbeln.

Erste Proteste gegen das Vorhaben kamen aus der Jahreshauptversammlung des 1969 gegründeten »Förderkreis Wildgehege Hardegsen«. Es wurde befürchtet, dass die zukünftige Nutzung und Gestaltung des Wildparks komplett dem Unternehmen Joe Bodemann überlassen werden würde. Die Vertreter des Förderkreises forderten, eine Bürgerversammlung zu diesem Thema einzuberufen.

Am 25. Januar 1990 fand ein Gespräch mit Vertreter_innen der Hardegser Bürgergruppe, des Heimat- und Verschönerungsvereins und diverser Naturschutzverbände statt. Ihnen gab der Stadtdirektor Renner folgende Informationen:
• Die Stadt investiere ca. 500.000 DM in das Projekt. Davon kommen 56% vom Land als Zuschuss, weitere 23% der Kosten übernehme der Landkreis.
• Der Betreiber der Filmtierschule, die Bodemann Animal Gmbh, pachte das Wildparkgelände und investiere in weitere Anlagen (Raubtieranlage, Wolfsgehege, Panorama-Freilaufgelände, Tierställe usw.). Über das Bau- und Kostenvolumen bestehe noch keine Klarheit.
• Die Unterhaltung des bisherigen Tiergeheges gehe an die Bodemann Animal GmbH über. Die Haltung von heimischem Wild werde erheblich eingeschränkt.
• Bei den Planungen müsse das regionalen Raumordnungsprogramms »Vorranggebiet für Natur und Landschaft« Beachtung finden.
• Der bisherige Flächennutzungsplan müsse geändert werden und ein Bebauungsplan werde für die Projektfläche aufgestellt.

Am 5. Februar 1990 der Rat über die Änderung des Flächennutzungsplanes und die Aufstellung eines Bebauungsplanes abstimmen. Laut Aussage von Stadtdirektor Renner sollten die Bürger_innen erst danach über die Planungen informiert werden (Berichterstattung der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeine)

In Vorbereitung der Ratssitzung hatte der Bauausschuss mit 4 zu 1 für die Aufstellung des Bebauungsplanes gestimmt. Der Umweltausschuss kam zu keiner Empfehlung bei 2 Ja- und 2 Neinstimmen und einer Enthaltung.
Nach einer mehr als dreistündigen kontroversen Debatte stimmten schließlich 15 für die Aufstellung der Pläne und vier dagegen. Die HNA berichtete: »Verwunderung rief bei den Kritikern die Tatsache hervor, dass die toten Dinosaurier aus Gründen des Naturschutzes abgelehnt worden seien, die Ansiedlung einer Filmtierschule hingegen möglich sein solle.«

Am 12. Februar 1990 wandte sich der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) an die Bezirksregierung und bat sie, sich in ihrer Funktion als Aufsichtsbehörde für das Naturschutzgebiet Espolde einzuschalten und die »mit aller Macht und Eile betriebenen Planungen zu stoppen, weil die Espolde und die Kobbeke zu den herausragenden Fließgewässern Südniedersachsens gehört.«

Auch die Bürgergruppe Hardegsen machte ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Projekt in der Zeitung deutlich und stufte die Planungen als naturschutzwidrig ein. Die Gruppe zeigte auf, dass die im Bebauungsplan enthaltene Bezeichnung »Kurgarten mit Filmtierschule« für das Planungsgebiet irreführend sei. Diese Bezeichnung sei nach Auffassung der Gruppe nur gewählt worden, um öffentliche Fördermittel akquirieren zu können. In Wirklichkeit handele sich um einen kommerziellen Freizeitpark mit Zootierhaltung.

Am 23. Februar 1990 wurde eine Bürgerversammlung zu den Planungsvorhaben abgehalten. Es fand eine hitzige Diskussion mit hartem verbalem Schlagabtausch statt, mit polemischen Äußerungen und Zwischenrufen am Rande der Sachlichkeit. An diesem Abend wurde auch den Befürwortern des Projekts deutlich, dass die Belange des Naturschutzes bei der Genehmigung die entscheidende Rolle spielen würden.

Eine Woche später druckte die Hessisch/Niedersächsische Allgemeine eine Übersicht, in der das »Planungsvorhaben Filmtierschule« detailliert mit Erläuterungen dargestellt wurde.

Dinosaurierpark (Signatur li_1136)

Im August 1990 schrieb die Bürgergruppe einen Brief mit diversen Anlagen an die damalige niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn mit der Bitte, die Ordnungsmäßigkeit des bisherigen Planverfahrens zu überprüfen.

Im März 1990 stimmten
• 46% der anwesenden Mitglieder des Verschönerungs- und Heimatvereins Hardegsen für die Erhaltung des Espoldestales,
• 27% für die Ansiedlung der Filmtierschule und
• 27% für die Filmtierschule, wenn keine Gebäude in den Lohmühlenanger, die große Wiesenfläche entlang der Espolde, gebaut werden und nur heimisches Wild dort Unterkunft finde.

Im Vorfeld der anstehenden Ratssitzung empfahl der Bauausschuss des Rates, den »Bebauungsplan 36 – Kurgarten mit Tierschule« anzunehmen. Der Rat der Stadt brachte schließlich am 2. April 1990 die Änderung des Flächennutzungsplanes wie auch den Bebauungsplanentwurf mit 12 zu 3 Stimmen auf den Weg.

Dennoch zerschlug sich das Vorhaben im Laufe des Jahres. Waren es die deutlich absehbaren Widerstände der Naturschutzbehörde gegen die Genehmigung des Bebauungsplanes »Kurgarten mit Filmschule«, die ungeklärte Finanzierung des Projekts oder lukrative Angebote anderer Kommunen? Lag es an dem Umstand, dass der Motor der Planungsvorhaben, Stadtdirektor Werner Renner zu Jahresende 1990 in Pension ging, oder war es von allem ein bisschen, dass Investor Joe Bodemann dazu bewog, sich mit seinem Planungsvorhaben aus Hardegsen zurückzuziehen? Die Filmtierschule in Hardegsen war Geschichte.

Im Folgejahr kauften zwei ehemalige Mitarbeiter von Joe Bodemann das Lokal »Zum Keiler-Eck« und wollten den Wildpark in eigener Regie übernehmen und umstrukturieren. Diese Wendung brachte zum letzten Mal Spannung in das bereits abgesagte Projekt: War das eine neue Hintertür für die Filmtierschule? Doch das Engagement währte nur ein Jahr, dann zogen sich die Betreiber aus Hardegsen zurück.

Im folgenden Jahr erarbeitete das Institut für angewandte Ökologie ein Konzept für einen Haustierpark im Wildgehege. Auch dieser Vorschlag wurde nicht weiter verfolgt.

Joe Bodemann zog mit seinen Tieren 2005 von Meinholz in einen Ortsteil von Eschede bei Celle. In einem 120.000 Quadratmeter großen Waldstück leben über 70 Tierarten. Einige Tiere werden nach wie vor zu Kleindarstellern für TV- und Kinoproduktionen ausgebildet. Der Filmtierpark Eschede ist ein beliebtes Ausflugsziel.

Lektorat Susanne Hösel