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Filmstadt Hardegsen

Von Andreas Lindemeier

Im Sommer 1971 weilte für eine Woche ein Aufnahmeteam des ZDF in Hardegsen, um hier die Außenaufnahmen des Fernsehfilms »Im Namen der Gerechtigkeit« zu drehen. Dabei ging es um die Lebensgeschichte von Eugene Francois Vidocq, der 1775 geboren wurde, sich zum Raufbold, Kleinkriminellen und Idol der Pariser Unterwelt entwickelte, oft in Haft geriet und immer wieder aus dem Gefängnis ausbrach. Der Krieg zwang ihn zur Agententätigkeit für die Polizei und schließlich wurde er Polizeichef von Paris und gründete die Geheimpolizei Surete.

Dieser märchenhafte Aufstieg wurde mehrfach in Serien als Fortsetzungsgeschichte ausgeschmückt, ehe der deutsche Regisseur Georg Marischka, ein Amateurhistoriker, sich dem Stoff annahm und eine Mischung aus Dokumentarfilm und spannender Handlung inszenierte.

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Der Schauspieler Peter Ehrlich in der Hauptrolle des Vidocq, hier noch in seiner Kriminellen Karriere als Häftling

Die Wahl, Lokalitäten in Hardegsen und Umgebung für die Außenaufnahmen zu nutzen, erfolgte über den Produktionsleiter des Films, Heinz Haude. Dieser kam 1945 mit seiner Familie nach Gladebeck und lebte dort bis 1962 im Pfarrhaus, ehe er in die Nähe von Frankfurt zog. Seine Tochter Sabine heiratete Rudolf Helmold und zog mit ihm nach Hardegsen. Dort besuchte Heinz Haude seine Verwandten, lernte interessante Örtlichkeiten in Hardegsen kennen und wies die Motivsucher, die den ZDF-Film mit vorbereiteten, auf die Region Hardegsen hin. Regisseur Georg Marischka war begeistert, denn die Burganlagen boten beste Motive für ein gut bewachtes Gefängnis des Spätmittelalters, in dem Gefangene ihre Festungshaft verbüßen müssen. Gedreht wurde im und um den Burgkomlex, in der Lunau und in der Feldmark von Gladebeck. Die Innenaufnahmen für den Film wurden in den ZDF-Studios in Hamburg gedreht.

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Die Strafgefangenen bei der Essensausgabe im Burghof

Im Vorfeld der Dreharbeiten wurden in der Presse Komparsen gesucht, die später Gefangene und Wachsoldaten spielten. Ca. 30 Interessierte wurden ausgewählt.
Für ihre Arbeit bekamen die Hobbyschauspieler einen kleinen finanziellen Obolus und mussten dafür eine Woche lang von morgens bis abends für die Aufnahmen bereitstehen. Früh morgens wurde man entsprechend eingekleidet und geschminkt. Dann mussten die Komparsen ausstaffiert in der schweren Leinenkleidung vor allem warten, bis die entsprechende Szene an der Reihe war. Da es in diesen Tagen sehr heiß war, rann so mancher Schweißtropfen und die Maskenbildner hatten viel zu tun, die Gesichter trocken zu halten.

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Gefangenentransport in der Feldmark von Gladebeck unterhalb des Gladeberges. Regisseur Marischka überwacht genau die Dreharbeiten am Set. Mehrfach wird die Szene in brütender Hitze wiederholt.

Immer wieder wird die Szene der Essensausgabe geprobt. Die Sonne brennt. Es wird entschieden, dass die Sequenz im Regen spielen soll. Keine Regenwolke in Sicht. Da wird über die Ausgabe hinter den Soldaten, die die Suppe austeilen, in 3 Meter Höhe auf einem Gestänge eine lange Regenrinne gebaut, in die viele Löcher gebohrt werden. Schließlich kommt die Hardegser Feuerwehr, führt an die Seite der Rinne einen Schlauch und pumpt Wasser hinein. Durch die Löcher in der Rinne tropft intensiv hinter den »Buffetsoldaten« das Wasser hinunter. Die Aufnahmekamera wird hinter den Soldaten auf einem Hänger platziert und filmt von hinten durch die tropfende Wasserwand. Die Szene spielt im Regen. Damit es echt aussieht, spritzt die Feuerwehr in den Himmel und es tropft auf die Gefangenen, eine willkommene Abkühlung in der Hitze des Burghofs.

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Die Essensausgabe, die bei strömendem Regen ablaufen sollte.

Im Muthaus wurde eine Sammelschlafstelle für die Gefangenen eingerichtet. Diese lagen dann dicht beieinander und ihre eiserne Halskrause zeigte mit einer Öse nach oben. Dann schob der Wachsoldat eine lange Eisenstange durch die Ösen von mehreren Gefangenen, so dass sie auf diese Art verbunden waren und nicht allein fliehen konnten.

Eines Tages gelang es den Gefangenen, einen Wachsoldaten zu überwältigen, ihn mit einem Strick um den Hals und einem Knebel im Mund auf einem Querstützbalken zu platzieren. Als dann ein Wachsoldat schreiend die Treppe herauf in den Raum stürmte, fiel der Kollege vom Balken und erhängte sich. Auch diese anspruchsvolle Szene wurde mit einem Stuntman mehrfach geprobt.

Ähnlich spektakulär ging es in der Lunau zu. Ein Bandit musste einen Pfarrer an den Füßen aufhängen. Während Helmut Förnbacher am Strick alles gab, zogen von der anderen Seite, von der Kamera nicht sichtbar, vier Männer den Pfarrer gemütlich in den Baum.

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Zwar nicht so spektakulär, aber viel aufwendiger wurden Schussszenen inszeniert. So sollten Gefangene über das Gelände des Parkplatzes gegenüber des Kindergartens ausbrechen. Oben an der Brüstung vor dem Burgtor standen Soldaten und schossen. Nun sollten die Einschläge auch sichtbar sein. Daher wurden unten im Gelände verkabelte Knallkörper verlegt. Fiel ein Schuss, wurde ein Knallkörper fern gezündet und ein Einschuss wurde eingefangen. Dann kam der nächste Schuss mit Einschlag. Es war eine spezielle Synchronisation von Schüssen und Einschlägen notwendig, die kleinschrittig über einen halben Tag geübt und gedreht wurde.

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Das Spanferkel am Spieß erfreute auch die Männer hinter der Kamera, zweiter von links Produktionsleiter Heinz Haude

Der Film wurde am Sonntag, den 10. September 1972 abends im ZDF gezeigt. Die Einschaltquoten waren niedriger als erwartet, weil an diesem Tag noch die Olympischen Spiele in München liefen, die durch das schreckliche Attentat am 5.September einen Tag später zu Ende gingen.

Hollywood in Gladebeck

Lange bevor der Vidocq-Film 1971 in Hardegsen gedreht wurde, war 1952 das Pfarrhaus von Gladebeck ein Drehort für den Film »Tausend rote Rosen blühn«, in dem die bekannten Schauspieler Rudolf Prack, O.W. Fischer, Winnie Markus und Maria Holst mitwirkten.

Den Impuls für diesen Drehort gab wieder Heinz Haude, der mit seiner Familie von 1945-1962 im Pfarrhaus von Gladebeck wohnte und damals als Dramaturg in Göttingen bei der Spielfilmproduktion beschäftigt und immer auf der Suche nach geeigneten Drehorten war.

In Gladebeck sollte in der Dorfschule gedreht werden. Da die Originalschule in Gladebeck den Filmmachern nicht so geeignet schien, wurde die Schule ins und ans Pfarrhaus gelegt. Der Unterricht wurde für den Film einfach unter freiem Himmel erteilt, was sicher die Dorfidylle steigern sollte.

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Unterricht im Freien sollte die Dorfschulidylle unterstreichen

Otto Engelhardt war einer der Kinder, der im Film mitwirkte. Seine Mutter bewirschaftete damals das Gasthaus »Zur Linde« und stellte eine Art Catering für die Filmcrew.

63 Jahre später trafen sich die damaligen Komparsen im Pfarrhaus anlässlich der 1000 Jahrfeier zum Bestehen der Ortschaft Gladebeck wieder und schauten sich in der Kirche den alten Film, in dem sie als Kinder mitgewirkt hatten, noch einmal an.
Weitere Außenaufnahmen für den Film, der in den Göttinger Filmstudios produziert wurde, waren der Bürgerpark Grone und das Klostergut Wiebrechtshausen bei Northeim.

Aus dem Film stammt der Gassenhauer »Mamatschi, schenk mir ein Pferdchen«.

In Hardegsen öffnet sich eine Tür zur Filmstadt Göttingen

Im Sommer 1945 waren die beiden Studienkollegen Rolf Thiele und Hans Abich auf der Suche nach einem geeigneten Standort für eine neu zu gründende Filmproduktion in Deutschland. Beide waren filmische Laien, aber kreative Köpfe auf der Suche nach etwas Neuem. Ihre Wahl fiel schließlich auf Göttingen.

»Dass ausgerechnet Göttingen vorübergehend Filmstadt wurde, ist ebenso zufällig wie zwangsläufig: es war allein die Folge von persönlichen Motivationen und Konstellationen und nicht eine Entwicklung, die sich aus der Logik der kulturellen Vitalität der Stadt ergeben hätte.« (Gustav Meier, Filmstadt Göttingen, 1996, S. 14).

Im Sommer 1945 trafen sich Thiele und Abich in Starnberg und diskutierten ihre Ideen und ihre Realisierungsstandorte. Sie wollten zunächst die Universitätsstadt Göttingen aufsuchen, wo Abichs Tante wohnte. Sie machten sich aus dem Süden auf in Richtung Göttingen, was nicht einfach war, denn man durfte in dieser Zeit unmittelbar nach Kriegsende nicht frei in Deutschland durch die verschiedenen Besetzungszonen reisen. Sie verschafften sich Ernteeinsatzausweise und reisten auf einem offenen Güterwagen nach Norden. Nach einer dreitätigen Irrfahrt mit komplizierten Anschlüssen erreichten sie Höxter. Mit einer Stange amerikanischer Zigaretten überredeten sie einen Mann, sie mit seinem Auto nach Göttingen zu fahren.

Kurz nach 22 Uhr stoppte die schottische Militärpolizei bei Hardegsen die Reisenden. Wer sich um diese Zeit noch auf der Straße befand, kam ins Gefängnis. So wurden auch Rolf Thiele und Hans Abich in Hardegsen inhaftiert. »Unser Verhör am nächsten Tag fiel aus, weil der englische König Geburtstag hatte und dies die britische Aktivität auch in Hardegsen feierlich zum Erlahmen brachte. Das Gefängnis wurde, soweit überhaupt, vom Ortsbürgermeister versorgt. Als wir erfuhren, dass der Bürgermeister im Zivilberuf ein Kino betrieben hatte, hielten wir mit unseren Produktionsplänen nicht hinter dem Berge. Von Stund an wurden wir beide im Rathaus ziemlich reichlich beköstigt, denn die künftige Geschäftsbeziehung zwischen Produzent und Kinobesitzer lag auf der Hand. (Abich 1979).

Eine Gefängnistür war also die erste, die mit den Filmplänen geöffnet wurde.« (Gustav Meier, Filmstadt Göttingen, 1996, S.17).

1946 wurde von Thiele und Abich die Filmaufbau GmbH Göttingen gegründet, 1948 der erste Film gedreht, der 1949 uraufgeführt wurde. Von 1948 bis 1961 entstanden durch die Göttinger Filmstudios und diverse Göttinger Produktionsfirmen 92 Filme (Vergleich Berlin 372, München 339).

Drehaufnahmen auf der Hardegser Burg

Im November 1951 wurde der Spielfilm »Mein Freund der Dieb« uraufgeführt, für den Außenaufnahmen auf dem Hardegser Burgkomplex gedreht wurden. Als Darsteller wirkten damals u.a. mit: Hans Söhnker, Vera Molnar, Olga Tschechova, Hardy Krüger und Marianne Koch.

Mein Dank geht an Sabine Helmold, geb. Haude, die mir hilfreiche Informationen gab.