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Kleiner Kiosk mit großem Angebot

von Andreas Lindemeier

Der Kiosk am Büh (Signatur li_1202)Kiosk am Büh (Signatur li_1197)

Der Grünhagener Platz heute und im Jahr 1954, damals mit Luise Scholz vor dem Kiosk.

Gebaut wurde das kleine Ein-Raum-Gebäude mit einer Fläche von drei mal vier Metern von Karl Dürkop, der in der Straße Am Cölnhöfen 11 eine Zigarrenfabrik betrieb.

Herr Dürkop arbeitete bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in der Zigarrenfabrik Baurmeister in Karlshafen am Hafen. Bis zu 200 Menschen waren hier beschäftigt. 1958 endete die Produktion.

Nach dem Zweiten Weltkrieg baute Herr Dürkop Am Cölnhöfen zwei Häuser. Im hinteren Gebäude drehte er mit einigen Beschäftigten Zigarren. Als Verkaufsraum für die Tabakwaren war das Häuschen am Büh gedacht, das Ende der 1940er Jahre errichtet wurde. Als die kleine Zigarrenfabrik im Konkurrenzkampf mit größeren Fabriken und vor allem mit Überseeware in Schwierigkeiten geriet, erwarb ca. 1951 die Stadt Hardegsen den Kiosk.

Erster Pächter war Herr Scheele, der in dem Haus Am Mühlenstieg 20 wohnte. Sein Nachfolger wurde 1953 Hermann Scholz, der mit seiner Frau zunächst auf dem Hof Weber, Am Anger, dann bei Familie Hildebrand in der Sohnreystraße 1 und schließlich ab 1964 im eigenen Haus in der Bartshäuser Straße 1 lebte.

Hermann Scholz war Heimatvertriebener und kam aus Bad Warmbrunn, das heute zu Jelenia Góra (Hirschberg) gehört. Bad Warmbrunn, heute Cieplice Śląskie-Zdrój, liegt in Niederschlesien am Fuß des Riesengebirges und ist seit dem 13. Jahrhundert für seine heißen Schwefelquellen als Heilbad bekannt. Herr Scholz, der ausgebildeter Berufsmusiker war, hatte dort direkt am Eingang zum Kurpark einen Musikalienhandel betrieben. Zum Einkauf der Musikinstrumente hatte er Mittel- und Süddeutschland bereist.

Kiosk am Büh (Signatur li_1200)

Luise und Hermann Scholz vor ihrem Laden in Bad Warmbrunn 1938

Durch Krieg und Vertreibung verlor die Familie Scholz, wie Millionen andere, ihre Existenz, und musste in Hardegsen unter widrigsten Bedingungen ihr Leben neu aufbauen.
Nach schwierigen Anfangsjahren konnte Herr Scholz im Jahr 1953 endlich den Kiosk pachten und mit neuer Lebensfreude an die Kaufmannstradition anschließen. In den 1950er-Jahren war er, ähnlich wie »Tante Lina« Reingart mit ihrem Milchverkauf an der Espoldebrücke, Gustav Pickel in seiner Drogerie in der Lange Straße oder später Emma Oldenburg in der Stubenstraße eine beliebte Persönlichkeit. Besonders die Hardegser Kinder mochten es, seinen Kiosk zu besuchen.

Kiosk am Büh (Signatur li_1198)

Der Kiosk im Jahre 1961. Im Hintergrund wird gerade das Gebäude Bahnhofstraße 1 bebaut, in dem die Post untergebracht war.

Hermann Scholz war mit gesundheitlichen Schäden aus dem Krieg zurückgekehrt und beim Gehen eingeschränkt. Daher machte sich seine Frau Luise an kalten Tagen schon um sieben Uhr früh auf den Weg zum Kiosk, um den Kohleofen anzuheizen. Von der Straße Am Büh kommend stieg man drei Stufen hoch und betrat einen kleinen überdachten Bereich. Über eine weitere Stufe ging es in den Innenraum, in dem es intensiv nach Tabak und Süßigkeiten roch. Rechts und links befanden sich üppig gefüllte Regale und Vitrinen. Der Bereich hinter dem Verkaufstresen war nur gebückt durch eine kleine Tür zu betreten.

Herr Scholz bot Tabakwaren aller Art an, dazu Bonbons, Kaugummis und Schokolade, Zeitungen und Zeitschriften. Nicht nur bei Kindern waren die Verkaufsstelle und Herr Scholz überaus geschätzt, sondern auch bei den Landwirten, die ihre Milch bei der Molkerei ablieferten und sich die Wartezeit bei einem Besuch im Kiosk verkürzten. Auch viele Fabrikarbeiter der Zementfabrik deckten sich hier mit Zigaretten und Zigarren ein. Herr Scholz zeichnete sich dadurch aus, dass er gleichermaßen Kinder wie Erwachsene stets im Anzug mit großer Freundlichkeit bediente.

Kiosk am Büh (Signatur li_1201)

Hermann Scholz neben seinem Kiosk. Im Hintergrund der Eingang zum Kino im Gebäudekomplex »Drei Kronen«.

Ab 1960 wurde der Kiosk mehrmals von Einbrechern aufgesucht. Es kam zu Diebstählen direkt im Laden und die Automaten wurden aufgebrochen. Herr Scholz ärgerte sich über diese Vorkommnisse und die Arbeit fiel ihm immer schwerer. Er erlitt einen Schlaganfall und starb am 27.4.1966.

Ein halbes Jahr lang wurde der Kiosk von seiner Enkeltochter Annemarie Scholz weitergeführt. Sie war bei ihren Großeltern aufgewachsen, hatte eine Schneiderlehre in Göttingen absolviert und dann in der Bekleidungsfabrik Lenz gearbeitet. Sie kündigte dort, um die Nachfolge ihres Großvaters anzutreten. Doch das Geschäft wurde durch Einbrüche und das erweiterte Angebot anderer Läden immer schwieriger. Familie Scholz gab den Kiosk Ende 1966 auf. Damit ging eine Ära zu Ende.

Am 1.10.1968 wurde der Kiosk von Frau Vilma Schiefelbein übernommen, die das Warenangebot erweiterte und vor allem Postkarten und Fotoartikel anbot. Sie führte das Geschäft aber nur für kurze Zeit, dann stand es leer. Mitte der 1970er-Jahre wurde das kleine Gebäude abgerissen.

Kiosk am Büh (Signatur li_1196)

Das letzte Bild des Kiosks, bevor er Mitte der 1970er-Jahre abgerissen wurde.

Großer Dank an Annemarie Wagner, geb. Scholz, die mir nicht nur die Fotos zur Verfügung stellte, sondern mir auch viele Informationen zum Leben ihrer Großeltern gab.

Lektorat Sus Hösel