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Einst klapperte die Mühle vor dem unteren Tor

von Andreas Lindemeier

Jahrzehntelang gab die »Bussemühle« mit ihrer eigentümlichen Ausstrahlung der Straße Vor dem Tore mit dem Lindenplatz das unverwechselbare Gepräge. Viele Einwohner_innen und Gäste der Stadt bedauerten 2018 den Abriss des Gebäudes, eines trutzigen Fünfgeschossers mit Klinkerfassade und Nachbarhäusern, die sich zusammen in die sanfte Kurve der Straße schoben. Der Mühlenkomplex hatte ein Bild des traditionellen Handwerks, der Betriebsamkeit und des Kundenservice vermittelt, gewandet in ziegelrote Bulligkeit. Es ist ersetzt worden von einem modernen und vor allem barrierearmen Wohnbau, der die Innenstadt wiederbelebt. Die jahrhundertelange Nutzung des Platzes als Standort einer Mühle, als Ort der wirtschaftlichen Produktion von Gebrauchsgütern nahe bzw. später innerhalb der Stadtgrenzen, wurde damit beendet.

Die »Bussemühle« wurde 1349 erstmals urkundlich erwähnt. (1) Der heutige Straßenname rührt daher, dass die Mühle im Mittelalter außerhalb der Stadtbefestigung vor dem unteren Stadttor lag.

Das Wasser für die Mühle wurde in den Teichwiesen über ein Wehr von der Espolde abgezweigt. Es lief über den Mühlgraben zunächst in die Burgmühle bzw. Alte Mühle in der Mühlengasse und wurde dann in einem offenen Graben weitergeleitet Richtung Lindenplatz. Heute wird das Wasser ab der Alten Mühle vollständig durch Rohre geleitet. Sie liegen unter dem Fußweg, der nördlich hinter den Grundstücken der Stubenstraße verläuft. Danach fließt es unter dem Grundstück Vor dem Tore 12, ehemals Ellermeyer, unter der Straße und der neuen Wohnanlage hindurch in Richtung Schmiedewiese. Bis in die 1960er Jahre wurde die Mühle mit dem Wasser aus dem Mühlgraben betrieben. Da der Wasserzulauf aber saisonal sehr schwankte, stieg man auf den elektrischen Antrieb der Turbinen um.

Die Mühle gehörte ursprünglich dem Amt Hardegsen und war verpachtet. Beim großen Stadtbrand von 1678 wurde sie zerstört, und es dauerte sechs Jahre, bis der Wiederaufbau vollbracht war. Nach einem erneuten Brand kaufte der Müllermeister Heinrich Busse 1883 die Ruine des Gebäudes, errichtete sie neu und nahm sie in Betrieb.

Mühle Busse (Signatur li_1154)
Vor dem Tore  (Signatur roll_0004)

Mühle Busse 1912, Postkarte geschrieben am 9.März 1913

Von 1920 bis zum Zweiten Weltkrieg bewirtschaftete der Müllermeister Wilhelm Busse die Mühle und baute zusätzlich eine Bäckerei auf.

Mühle Busse (Signatur li_1166)

Erster Kleintransporter »Krupp Diesel« zum Ausliefern der Ware

Mühle Busse (Signatur li_1163)

Bäckergesellen in der Backstube 1948, in der Mitte Gehard Spiwoks, der kurzzeitig im Betrieb arbeitete

1949 wurde die Mühle ausgebaut, 1972 das Stallgebäude umgebaut. Hier wurde 1985 ein Cafe eingerichtet.

Wilhelm Busse fiel im Zweiten Weltkrieg. Sein jüngerer Bruder Walter, der als Verwaltungsangestellter beim Landkreis gearbeitet hatte, schulte um, wurde Müllermeister und später Bäcker. Er führte von 1948 bis 1984 den Betrieb. Danach übergab er ihn an seinen ältesten Sohn, den Konditor und Bäckermeister Walter Busse jun. Dieser betrieb die Bäckerei in vierter Generation.

Mühle Busse (Signatur li_1189)

Bäckerei und Cafe 2015

Die Spezialitäten des Hauses wie Schmandkuchen, Mohnkuchen schlesischer Art, Butterstreuselkuchen sowie die Torten waren weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt und beliebt. Im Jahr 2000 zog das Bistro Fontana d›Asino in die Räumlichkeiten des Cafés, betrieben von Ingrida Fellert, die heute die Burgschänke führt.

Im Jahr 2000 zog das Bistro Fontana d›Asino in die Räumlichkeiten des Cafés, betrieben von Ingrida Fellert, die heute die Burgschänke führt.

Der Mühlbetrieb wurde 2002 eingestellt. Mittlerweile hatte Walter Busse jun. Filialen in Northeim, Katlenburg, Moringen, Gladebeck, Volpriehausen und Heiligenhafen aufgebaut. Seine zweite Ehefrau, Heike Busse, übernahm 2014 die Betriebsführung.

Drei Jahre darauf wurde das Mühlenareal durch das Hardegser Bauunternehmen Schonlau gekauft. Nach Einschätzung des Investors war eine wirtschaftliche Sanierung des Gebäudekomplexes nicht möglich, auch wenn dieser nicht unter Denkmalschutz stand. Aus diesem Grund wurde die Mühle Anfang 2018 abgerissen. Der unterirdische Mühlgraben wurde zur Überraschung vieler Passant_innen wieder eine Zeitlang sichtbar. Das Hardegser Bauunternehmen errichtete auf dem Grundstück und auf einer angrenzenden Parzelle Richtung Schmiedewiese mehrere Mehrfamilienhäuser.

 (Signatur li_1173)

Im März 2018 begann der Abriss des Gebäudekomplexes

Mühle Busse (Signatur li_1180)

Nach dem Abriss des Mühlengebäudes kam der Mühlengraben zum Vorschein, der unter dem Gebäude lief. Er wurde verrohrt und dann in eine Betonumwandung gelegt. So läuft er heute noch unter dem Wohnkomplex hindurch.

Bevor die Abrissarbeiten begannen, konnten in letzter Minute noch einige Maschinen und Triebwerksteile der alten Mühle ausgebaut und gerettet werden. Die Initiative dazu kam von Werner Busse, dem Sohn von Walter Busse sen., und Mitgliedern des Räbker Fördervereins Mühle Liesebach e.V. und wurde mit der Genehmigung des neuen Besitzers des Mühlenareals, Frank Schonlau, umgesetzt. Im Anschluss an die Rettungsaktion fertigte der Mühlenbautechniker Rüdiger Hagen eine technische Zeichnung der Mühle an, um ein Zeugnis der Funktionsweise dieses regional bedeutenden Industriedenkmals zu erhalten. (2)

Mühle Busse (Signatur li_1192)
Mühle Busse (Signatur li_1185)

Der neue Wohnkomplex 2020

(1) Herbert Heere, Mühlengeschichte der Stadt Hardegsen, in: Sollinger Heimatblätter
(2) http://muehle-raebke.de/zwei-fotografen-zur-erkundung-in-der-muehle-liesebach

Ein herzlicher Dank an Werner Busse, der Informationen ergänzte.

Lektorat Susanne Hösel