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Stubenstraße, wo man in die Stuben schauen kann

von Andreas Lindemeier

Stubenstraße (Signatur he_0141)

Die Stubenstraße ist wohl der älteste Teil der kleinen Stadt, denn, wie der Chronist berichtet, blieben die »kleinen Hütten« in dieser Straße bei dem großen Brand 1678 vom Feuer verschont.

Stubenstraße (Signatur li_0927)Stubenstraße (Signatur li_0928)

Obwohl viele Veränderungen an kompletten Häusern und Fassaden im Laufe der Zeit vorgenommen wurden, kann man mit Fantasie sich ein Bild machen, wie es wohl im 17. Jahrhundert in dieser Straße ausgesehen haben mag.

Stubenstraße (Signatur li_0117)

Zur Straße zählen 25 Häuser. 18 davon (Hausnummer 2 bis 32) sind auf der rechten Seiten terrassenartig parallel zur alten Stadtmauer aufgereiht, sieben (Nr. 1 bis 13) sind auf der linken Seite gebaut. Zwischen den Häusern Nr.9 und 11 grenzt die massive Stützmauer der Gartenanlage des Ersten Burgmannshofes an die Straße. Die Stubenstraße ist 220m lang und weist eine Steigung von 3-4% aus. Viele der alten Fachwerk-/Lehmhäuser haben eine gemeinsame Seitenwand mit dem Nachbarhaus.

Stubenstraße (Signatur li_0086)

Die Häuser, die entlang der Stadtmauer aufgereiht waren, hatten hinter dem bebauten Grundstück einen kleinen Garten, der allerdings auch nicht von hinten zu betreten war, weil die Fläche direkt an den Mühlengraben anschloss. Erst 1974 erwarben die Anlieger ein Betretungsrecht auf dem inzwischen verrohrten Graben und legten einen Weg an.

Die Gartengrundstücke der Anwohner liegen nicht unmittelbar in Verlängerung der bebauten Fäche, sondern verspringen im unteren Teil der Straße (z.B. bei Nr. 4) um 5 Meter nach rechts. So konnte man die zur Verfügung stehende Fäche zwischen ehemaliger Stadtmauer und Mühlengraben, gerecht auf die Anlieger aufteilen. Manche Fundamente von Anbauten sind direkt auf der alten Stadtmauer gegründet.

Stubenstraße  (Signatur li_0104)

Ehepaar Sprenger mit Ochsengespann beim Holz fahren

Stubenstraße (Signatur li_0105)

Herr Sprenger holt das Holz aus der Lunau

Wie bei allen anderen Eigentümern innerhalb der Stadtmauer lag auf jedem Haus eine Holzgerechtsame, das Recht auf Nutzung des Waldes für die Holzgewinnung. Jedem Haus stand eine festgelegte Menge Holz zu, das zu einem Vorzugspreis erworben werden konnte. Einmal im Jahr fand dann eine Holzverlosung statt, an der die Grundstückseigentümer teilnahmen und ihre Holzhaufen zugelost bekamen. Das Holz war im Wald aufgemacht und es war immer wieder spannend zu erkunden, wie viele Haufen zu der zustehenden Menge aufgeschichtet waren und wo ihr genauer Standort lag. Nach der Verlosung suchte man seine Haufen, organisierte den Abtransport und wenn man Pech hatte, musste man das Holz weit zum Abfuhrweg tragen. Mit Ochsen- später Pferdegespann, noch später mit Trecker und Wagen wurde das Holz aus dem Wald geholt und kurzzeitig am Rand der Stubenstraße gelagert. Vorher wurde schon der Holzsäger bestellt, das Holz auf der Stubenstraße gesägt, die Klötze durch das Haus vor den Holzschuppen getragen, dort mit der Axt gespalten und im Holzschuppen aufgestapelt. Das Holz wurde mindestens siebenmal angefasst, bevor es trocken im Ofen verbrannt wurde.

Stubenstraße 2 (Signatur li_0090)

Ehepaar Lenthe vor ihren Haus Nr.2

Stubenstraße  (Signatur te_0083)

1925: Frau Wüstefeld li mit Sohn Walter auf dem Arm und davor stehend Sohn Helmut und Frau Dora Lindemeier re mit Tochter Emma vor Nr.4

So eng, wie die Häuser zusammenstanden, so eng war es auch in den Häusern. 1936 wohnten im Haus Nr.4, damals Hausnummer 138, Christian Lindemeier mit Frau und vier Kindern und Alfred Wietschel mit Frau und zwei Kindern. Das Haus umfasste 7 kleine Zimmer und eine Waschküche mit Waschkessel auf einer Grundfläche von 50 Quadratmetern. Hinter dem Haus war ein Stall angebaut, in dem ein Schwein gehalten wurde. Dahinter befand sich das Plumpsklo direkt auf dem Fundament der alten Stadtmauer. Neben dem Stall war ein Schuppen errichtet, oben lagerte Stroh, unten das Brennholz. Unter dem rechten Teil des Hauses war ein schmaler Kartoffelkeller gebaut, der ein Kellerloch zur Straße hatte. Besonders bei Sturzregen wurde diese Öffnung zum Problem, weil die Wassermassen über den Bürgersteig in den Keller liefen. Daher hatte dieser eine ausgemauerte, abgedeckte Wassergrube, in die auch unterirdisch das Wasser zulief, da das Haus fast an der tiefsten Stelle der Stubenstraße lag. Von der Wassergrube verlief ein Rohr unter dem Stall in den Garten. War dieses verstoppft oder drang zu viel Wasser bei Sturzregen in den Keller, lief der auch schon einmal voll.

Die Fläche für Haus, Schuppen, Stallungen und Garten betrug 190 Quadratmeter. Das Haus wurde 1750 erbaut. Es senkte sich irgendwann einmal mit dem rechten Teil ab. Der Knick im mittleren horizontalen Balken in der Fronseite veranschaulicht dies. Im Inneren wurde dieses Absenken durch neue Zwischendecken ausgeglichen. Das Haus war eingeschossig und hatte eine Grundfläche von 49 Quadratmetern.

Stubenstraße (Signatur li_0920)

Nachbarschaftsfest in Nr.4, die Familien Lindemeier und Claus schauen Fotos an.

Man lebte mit seinen Nachbarn, mit denen man oft verwandt war, eng zusammen. Gemeinsam wurde viel gefeiert an Festtagen oder bei Familienfeiern. Nachbarschaftshilfe wurde groß geschrieben. Man half sich beim Schlachten, Kartoffelroden oder kleinen Umbauten. Die meisten hatten ein Gemüse- und Kartoffelgarten vor den Toren der Stadt. Die Frauen halfen in der Erntezeit bei den örtlichen Bauern mit.

Stubenstraße (Signatur li_0924)

Spielpätze waren die Hinterhöfe und die Straße, wo man sich mit den Freunden traf

Das Leben spielte sich auf der Straße ab. Die älteren stellten im Sommer Bänke oder Stühle auf den Bürgersteig und unterhielten sich von Haus zu Haus. Keine Nachricht konnte in der Stubenstraße verborgen bleiben. Auch die Kleinkinder wurden vor dem Haus geparkt, denn es gab hier immer viel zu sehen.

Stubenstraße (Signatur li_0919)

Vor der Tür geparkt, Andreas Lindemeier 1953, vor Nr. 4

Im Winter, wenn es viel schneite und eine feste Schneedecke auf der Straße lag, war die Stubenstraße das »Wintersportzentrum« für die Kinder aus der »inneren Stadt«. Lange Schlittenfahrten auf der abschüssigen Stadt war ein Höhepunkt des Jahres in der Straße.

Ein anderer Höhepunkt war der Festumzug, der beim Steinbreitenfest die Straße hochführte. Verwandte kamen eigens zu diesem jährlichen Ereignis zu Besuch und säumten die Straßen. Den besten Blick auf den Umzug und die üppig geschmückte Straße hatten man aber aus den Häuserfenstern der ersten Etage.

Stubenstraße (Signatur li_0922)

Herr Kohrengel reitet 1959 beim Steinbreitenfest auf einem Ochsen durch die Straßen

Aber es gab weitere Höhepunkte in der Stubenstraße: Der Hochzeitszug oder das jährliche Schlachtefeste auf dem Hinterhof, wenn Herr Bürke fachgerecht das Schwein zerlegte.

Stubenstraße (Signatur li_0678)

Hochzeit 1951 Gabriele und Helmut Lindemeier aus Nr.4

Stubenstraße (Signatur li_0926)

Herr Bürke schneidet im Hinter Hof von Nr.4 das Schwein auf

Bliebe noch die Frage nach dem Namen. Man könnte meinen die Tatsache, dass man den Bewohnern in ihre Wohnstuben hat sehen können, sei Ursprung. Doch der lag im Mittelalter, als in der Straße Badestuben eröffneten. Ab Ende des 17. Jahrhundert sind in der Kopfsteuerbeschreibung der Stadt Bader aufgeführt. Duch die Kombination eines Bades mit Haarpflege, Aderlass und Schröpfen steigerte sich die Beliebtheit der Badestuben. In den größeren Städten entwickelte sich ein üppiges geselliges Leben in den Badestuben. Verggnügunslokale entstanden und die Stuben kamen in Verruf. Ob diese Entwicklung in Hardegsen auch ihren Lauf nahm, ist nicht überliefert.

Stubenstraße (Signatur te_0562)

Gesellig ging es in der Hausnummer 30 auf unterschiefliche Art zu:

Stubenstraße 30 (Signatur li_0092)

Kindergarten der Nationalistischen Volkswohlfahrt 1940

Stubenstraße 30 (Signatur sch_0151)

Diskothek »Schweizer Eck 1974

Wohin entwickelt sich die Stubenstraße? Einst prächtiges Fachwerkensemble – heute werden ganze Häuser folgenlos weggerissen und es klafft eine hässliche Lücke.

Stubenstraße (Signatur li_0929)

Wer kann sich heute eine Sanierung dieser Häuser leisten? 2015 konnte man für 25000 Euro solch ein Haus kaufen. Eine fachgerechte Sanierung von Dach über neue Außenwände zum Nachbarn bis in den Keller kostete 200.000. Auch 20% Zuschüsse können die hohen Ausgaben kaum mindern, denn man erhält sie oft nur, wenn man sehr kostenintensive Auflagen erfüllt. Wird es bald noch mehr Lücken in der Häuserfront geben?