Stadtwappen HardegsenHardegser Fotomuseum

Übersichtskarte

Alle Bilder zu Thema anzeigen

»Hildasglück« – einst tiefst gelegenster Punkt Hardegsens

von Andreas Lindemeier

Hildasglück (Signatur li_1045)

Wie eine Kraterlandschaft ragt die graue, ausgewaschene Abraumhalde der ehemaligen Bergwerksanlage »Hildasglück« etwa 1,5 Kilometer nordwestlich von Ertinghausen aus dem Wald. Es ist die letzte sichtbare Spur eines Salzbergwerks, das mit großen Erwartungen gestartet war, die Hoffnung nach reichhaltiger Ausbeute aber nicht erfüllen konnte.

Ende des 19. Jahrhunderts entstanden in Südniedersachsen Bohrgesellschaften, um Salzvorkommen zu erschließen und Förderschächte abzuteufen. Sie erwarben von den entsprechenden Grundstückseigentümern sogenannte »Gerechtsame«, ein Nutzungsrecht an eventuellem unterirdischen Salzvorkommen. In vielen Fällen fehlte schließlich das nötige Kapital, um Probebohrungen vorzunehmen.

In Volpriehausen waren die finanziellen Verhältnisse durch auswärtige Investoren günstig, Probebohrungen waren erfolgreich. Ab 1898 begann die Bergbau AG Justus, am östlichen Ortsrand einen Schacht abzuteufen und ein Bergwerk zu bauen, das »Justus I« genannt wurde. Als 1921 die Burbach Kaliwerke AG den Betrieb übernahm, änderte sich der Name in »Wittekind«. In 540m Tiefe wurde die Hauptfördersohle angelegt. Mit einem eigenen Bahnanschluss an der Hauptverkehrsachse Ruhrgebiet – Ostdeutschland lag dieses Bergwerk verkehrstechnisch besonders günstig.

Bereits 1896 war die »Kalibohrgesellschaft Hardegsen« gegründet worden und hatte Nutzungsrechte für einen eventuellen Abbau in den Gemeinden Hardegsen, Ellierode, Lichtenborn und Ertinghausen, sowie bei der Bollertsmühle östlich von Volpriehausen erworben. Auch diese Gesellschaft wollte die günstige Lage zu der Bahnverbindung nutzen.

Aus finanziellen Erwägungen verkaufte allerdings die Gesellschaft 1901 den größten Teil ihrer Verträge an die Bergbaugesellschaft Justus. Hier wuchs das Interesse an einer weiteren Schachtanlage, da durch eine Änderung des Bergrechts 1906 gefordert war, dass jedes Bergwerk aus Sicherheitsgründen über einen zweiten Schacht verfügen müsse.

1910 begann man mit den Abteufarbeiten des Schachtes »Hildasglück«. Beim Ausbau des Schachtes machten immer wieder zulaufende Wasser im sehr zerklüfteten Buntsandstein zu schaffen.

Der Name »Hildasglück« erinnert an den Besitzer der »Bollertsmühle« Harriehausen, der Nutzungsrechte an die Bohrgesellschaft verkauft hatte. Er wollte damit den Namen seiner damaligen Verlobten »Hilda« wachhalten.

»Hildasglück« entstand nun knapp 1,8 km östlich von »Wittekind« nordwestlich von Ertinghausen auf einer Anhöhe von 380 Metern mitten im Wald auf Hardegser Gemeindegebiet. Der tiefste Punkt des Schachtes lag bei 945 m. Die Hauptfördersohle wurde in 917m Tiefe eingerichtet. Die Anlage war durch eine Straße erschlossen, die bei der »Bollertsmühle« kurz vor Volpriehausen von der früheren Reichsstraße 241 abzweigte. Nach Ertinghausen gab es keine ausgebaute Wegverbindung, was bis heute noch der Fall ist.

Hildasglück (Signatur li_1039)

»Hildasglück« wurde 1915 fertig gestellt. Infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten vor allem wegen des Ersten Weltkrieges wurde erst 1919 der Betrieb aufgenommen. Die Tagesanlagen bestanden aus einer leistungsfähigen elektrischen Fördermaschine, einem Maschinenhaus, Förderturm, einer langgezogenen Hängebank, Kaue, Werkstätten und aus einem Verwaltungsgebäude.

1912 wurde das Betriebsgelände »Hildasglück« durch eine Drahtseilbahn mit der Anlage »Justus« verbunden. Mit Hilfe dieser Seilbahn sollte ursprünglich das Rohsalz von »Hildasglück« zur Salzmühle des Werkes »Wittekind« transportiert werden. Dazu ist es nur in geringem Maße gekommen. Hauptsächlich wurden mit der Seilbahn Kleingeräte und die Ledertasche mit dem Wochenlohn für die Arbeiter auf »Hildasglück« auf den Berg gebracht.

Hildasglück (Signatur li_1046)Hildasglück (Signatur li_1047)

Spurensuche 2020: Reste der Drahtseilbahn bei Volpriehausen und oberhalb von Ertinghausen

Hildasglück  (Signatur li_1041)Hildasglück  (Signatur li_1040)

Als »Hängebank« werden im Bergbau die Vorrichtungen und Einbauten im Fördergebäude über Tage bezeichnet, die dem Entleeren der Fördergefäße und dem Einhängen von Material in den Schacht dienen. Die ebenerdige Rasenhängebank (unterste Hängebank) ist der Ort, wo schwere Gegenstände zum Transport in das Bergwerk verladen wurden, die etwa 10-12m höher liegende obere Hängebank diente dem Verladen von Förderwagen mit Rohsalz und dem Ein- und Ausstieg der Bergleute. »Auf Hildasglück« war die Hängebank etwas herausgezogen. Dieser Teil diente als Rampe für die Seilbahn, die hier ins Innere geführt wurde.

»Hildasglück« wurde durch die elektrische Zentrale des Werkes »Wittekind« mit elektrischer Energie versorgt. Die Hauptsohlen bestanden hauptsächlich in 794m und 917m Tiefe. Die Hoffnungen auf ein ergiebiges, abbaufähiges Kalivorkommen erfüllte sich nicht. Es wurden nur geringe Mengen von Kalisalz gefördert. Die heute noch sichtbaren Reste der früheren Rückstandshalde zeugen von den niedrigen Abbaumengen auf »Hildasglück«.

Die heutige Rückstandshalde sollte keinesfalls betreten werden, da durch Auswaschung sich unterirdische, nicht sichtbare Hohlräume gebildet haben, bei denen starke Einbruchgefahr besteht.

Auf »Hildasglück« haben kaum mehr als 40 Bergleute gearbeitet, die aus den umliegenden Ortschaften Ertinghausen, Schlarpe, Trögen, Üssinghausen, Espol, Hardegsen und Volpriehausen mühevoll zu Fuß zur Arbeit auf den Berg kamen und dann einfuhren.

Hildasglück  (Signatur li_0074)

Die Kaue, hier zogen sich die Bergleute um und wuschen sich

Hildasglück  (Signatur li_1044)

Haspelschuppen

Hildasglück (Signatur li_0073)

Werkstattgebäude

Im Jahre 1919 wurden beide Schachtanlagen durch einen 1200m langen Querschlag auf die 917m-Sohle von »Hildasglück« verbunden. Wegen der schlechten Kalisalzvorkommen wurde »Hildasglück« mehr und mehr nur als einziehender Wetterschacht und Materialschacht genutzt, »Justus/Wittekind« blieb Hauptförderschacht. Es gab mehrere Fördersohlen auf »Wittekind«. Hauptfördersohle war jedoch die 540m-Sohle. Es wurde hauptsächlich Hartsalz gefördert, das in der betriebseigenen Fabrik zu Kalidünger verarbeitet wurde. Seit dem Ende der zwanziger Jahre wurde nur noch Kainit und Steinsalz verarbeitet.

Am 10. April 1945 besetzten Angehörige einer US-Division die Munitionsanstalt. Anfang Juli 1945 übernahmen Angehörige einer auf Heeresmunitionsanstalten spezialisierten schottischen Einheit die Anlage. Ihre Aufgabe bestand hauptsächlich in der Bewachung und mengenmäßigen Erfassung der eingelagerten Kulturgüter. Nach Schätzungen befanden sich noch zwischen 15 und 20.000t Munition unter Tage. Nach ersten Befahrungen der Anlage war schnell klar, dass die Räumung der Munition ein großes Gefahrenpotential darstellte und nicht geleistet werden konnte. Hinzu kam, dass die Heeresmunitionsanstalt als Rüstungsbetrieb erster Kategorie eingestuft worden und zu sprengen war. Die Vorbereitungen dazu waren bereits abgeschlossen, der Sprengbefehl wurde aber ausgesetzt, da man auf die Bergung der Kulturgüter hoffte.

Am 29. und 30. September 1945 erschütterten dauernd heftige Explosionen die Schachtanlage »Wittekind«. Innerhalb weniger Stunden wurde das stählerne Fördergerüst völlig zerstört. Tonnenschwere Teile des Gerüsts und der Ausmauerung der Schachtanlage wurden hunderte von Metern durch die Luft geschleudert. Dabei wurden fünf polnische Zwangsarbeiter/innen in ihren Baracken am Schacht »Wittekind« und zwei Feuerwehrleute erschlagen. Die Feuersäule erreichte eine Höhe bis zu 300m und war sogar in Göttingen zu sehen. Löschversuche zahlreicher Feuerwehren blieben erfolglos.

Im Laufe der beiden Tage griffen die Explosionen auch auf »Hildasglück« über. Es war der Versuch gescheitert, den Schacht mit Eisenplatten abzudecken, um so das Einziehen von Sauerstoff und den Durchzug nach »Wittekind« zu verhindern. Durch Umschlagen der Wetter unter Tage wurde die Abdeckung vom Explosionsdruck mehrmals weggeschleudert. Es kam dann am 30.September 1945 gegen 8:30 Uhr zu einer gewaltigen Explosion, die die gesamte Übertageanlage zerstörte und Bauteile den Berg hinunter bis an die Bahnstrecke schleuderten.

Die Kaliförderung lief in Volpriehausen bis 1938. Dann übernahm die Wehrmacht die Schachtanlagen, um sie als Heeresmunitionsanstalt, wie an 24 anderen Kalischachtstandorten im Deutschen Reich, für Munitionslagerung zu nutzen (siehe Album Heeresmunitionsanstalt).

Im Frühjahr 1944, nach den starken Bombardierungen deutscher Städte, begann man auf »Wittekind«, wie auch in anderen Bergwerken, wertvolle Kulturgüter einzulagern. Bücher und Zeitschriften der Universität Göttingen, Sammlungen einzelner Universitätsinstitute, Stadtarchive, Kirchenakten, Museumssammlungen, Kisten mit Stücken aus der Bernsteinsammlung der Universität Königsberg, Münzsammlungen und Privatarchive wurden unter Tage gebracht. Über die Einlagerung des legendären »Bernsteinzimmers« aus Königsberg in die Schachtanlage in Volpriehausen wurde immer wieder spekuliert. Es gibt dafür aber keine Belege.

Die Ursachen der Explosionen sind bis heute nicht geklärt. Zum einen wird spekuliert, dass Plünderer am Förderturm austretendes Methangas in Brand gesetzt hätten, zum anderen wurde über einen Racheakt der polnischen und sowjetischen Fremdarbeiter gemutmaßt. Eine weitere, nicht belegte Theorie geht davon aus, dass die Schachtanlage vorzeitig gesprengt wurde, da die Bergung der gefährlichen Munition unmöglich schien. Für diese Annahme spricht, dass auch andere Bergwerksanlagen, die unter britischer Bewachung standen, ebenfalls in dieser Zeit explodierten.

Ende April 1946 konnten Bergungstrupps bis zur 660m-Sohle vorzudringen. Etwa 60.000 Bücher der Universität Göttingen und ein kleiner Aktenbestand konnten unversehrt geborgen werden. Alles andere war zerstört. Das übrige Einlagerungsgut war zerstört worden. Immer mehr Wasser vor allem aus dem Bereich »Hildasglück« drang in die Schächte. Am 22. Oktober 1946 musste die 660m-Sohle aufgegeben und die Bergungsaktion eingestellt werden. Inzwischen sind beide Schachtanlagen »abgesoffen«. Auch mit modernsten Mitteln ist heute ein Abpumpen der Anlagen nicht möglich, da das Wasser in den Bergwerksanlagen durch gefährliche Kampfstoffe verseucht ist.

Die Schachtröhren wurden mit Deckplatten verschlossen. In der Zeit vom Herbst 2001 bis zum Frühjahr 2002 wurden auf Veranlassung des Bergamts beide Schachtröhren mit Schotter, Kies, Sand und Ton, in dieser Reihenfolge in mehreren Schichten übereinander, verfüllt. Neben den Schachtröhren hatte sich ein etwa 20 mal 20 Meter großes und etwas 100m tiefes Loch gebildet. Statt diese Untiefe auch mit Kies zu verfüllen, wozu mehr als 5000 LKW-Ladungen notwendig gewesen wären zogen, die Experten Sprengungen vor. Nach über sieben Monaten und 33 Sprengungen waren 180.000 Kubikmeter Erdreich bewegt und das Loch verfüllt. Es entstand der heute noch sichtbare große Krater neben dem abgedeckten Schacht.

Hildasglück  (Signatur li_1049)

Verschlossene, aufgefüllte Schachtröhre »Hildasglück«, daneben der Krater.

Mein besonderer Dank gilt Detlev Herbst aus Volpriehausen, der als Experte das Kali- und Bergbaumuseum Volpriehausen betreut. Ich beziehe mich auf seine Veröffentlichungen und habe diesen Artikel mit ihm abgeglichen.

Sehr empfehlenswert ist die Homepage www.volpriehausen.com, auf dem weiterführende Artikel von Detlev Herbst sehr detailliert nachzulesen sind.