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Zur Erholung nach Hardegsen

von Andreas Lindemeier

Fremdenverkehr (Signatur li_1064)

Erste Postkarte, die 1928 mit dem Luftkurort Hardegsen wirbt

»Mit Gästeabenden, Lichtbildervorträgen, geführten Wanderungen und Kutschfahrten bemüht sich die Kurverwaltung um Ihre Unterhaltung. Der Ausschank der »Friedrich-Christian-Heilquelle Neuselters« im kleinen Kurpark und die Wassertretanlage tragen wesentlich zum Wohlbefinden, zur Erholung und Gesundung der Kurgäste bei«, so wirbt 1971 ein Prospekt für den Luftkurort Hardegsen im Solling. Mit Erfolg, – denn 1976 zählt die Statistik 50570 Übernachtungen in Hardegsen, die sich auf 5718 Gäste bezogen. Diese Zahlen beinhalteten 5296 Übernachtungen in Ertinghausen (474 Gäste). »Sie finden einen ganz modernen Minigolfplatz, ein großzügig angelegtes beheiztes Freibad, einen Kurgarten mit Leseraum und Bücherei und mit Unterhaltungskonzerten, gesellige Tanzbar und anheimelnde Gaststätten.«

Die meisten Gäste kamen in diesem Jahr über Werkerholungen der Metall- und Hüttenwerke Lendringsen (bei Iserlohn) und Hückelhoven und Viersen (bei Mönchengladbach) und über das Hilfswerk Berlin. Sechs Reiseunternehmen fuhren Hardegsen regelmäßig an und brachten Erholungssuchende aus West-, Norddeutschland und Berlin.

Schon 1813 stellte der Geschichtsschreiber Börries Ludewig Domeier, der 30 Jahre lang in Hardegsen als zweiter Prediger tätig war, in seiner »Topograpfie der Stadt Hardegsen« heraus: »Hardegsen, obgleich auf allen Seiten mit hohen Bergen umgeben, die auf eine eingeschlossene Luft schließen ließen, hat gleichwohl eine sehr gesunde Luft, wie aus dem hohen Alter vieler seiner Einwohner und aus dem Zotenverzeichnis im Stadtkirchenbuch erwiesen werden kann. Endemische Krankheiten sind daher hier ganz undenkbar und epidemische selten.«

Schon 1936 standen in Hardegsen für Gäste 85 Betten zur Verfügung, 666 Übernachtungen wurden offiziell verzeichnet. Besonders die Pension der Heimatdichterin Henriette Ahlborn (heutige Pizzeria) hatte eine lange Beherbergungstradition. Nach dem 2. Weltkrieg kam der Fremdenverkehr zum Stillstand. Wohnraum war knapp, viele Heimatvertriebene mussten untergebracht werden. Erst mit der Bebauung des Wienberggebietes (heutige Sohnreystraße) zu Beginn der 1950er Jahre wurden wieder Zimmer für Gäste frei. 1958 wurden 4000 Übernachtungen verzeichnet, 125 Betten standen zur Verfügung, davon 74 in Privathäusern.

Fremdenverkehr (Signatur li_1071)

Traditionsreicher Beherbergungsbetrieb: Cafe und Pension Ahlborn (heute Pizzeria)

Der Hardegser Fremdenverkehrsprospekt pries 1975 383 Betten in 67 Quartieren an. In der Kernstadt boten das Hotel Illemann, das Wildparkhotel, das Hotel »Drei Kronen«, das Hotel »Villa Aky« (früher Pension Ahlborn) die Gaststätte Schrader, 5 Pensionen, 3 Ferienwohnungen, der Campingplatz und 34 Privatvermieter Übernachtungen an. Im Feriendorf Ertinghausen boten zwei Gasthäuser und 7 Privatvermieter Betten an. Dazu kamen kleinere Angebote in Hettensen, Ellierode, Lutterhausen, Trögen und Üssinghausen.

Fremdenverkehr (Signatur li_1075)

Eine der ältesten Privatpensionen: Pension Hagendorff in der Schmiedewiese

In einer »Untersuchung über den Stand und die Entwicklungsmöglichkeiten des Fremdenverkehrs in Hardegsen«, die 1988 von der Nds. Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege durchgeführt wurde, errechnete man, dass bei 40.000 Übernachtungen im Jahre 1987 und einer durchschnittlichen Verweildauer der Gäste von 3,5 Tagen, die Einnahmen im Ort im Bereich des kurz- und mittelfristigen Einzelhandelsumsatzes durch den Fremdenverkehr ca. 9% betragen haben. Legt man diese Berechnungsgrundlagen für das Jahr 1976, der Hochzeit des Hardegser Fremdenverkehrs, zugrunde, dürfte der Anteil ca. 15% und mehr betragen haben. Fremdenverkehr in Hardegsen, ein wichtiger Wirtschaftsfaktor dieser Zeit.

Doch nicht nur der Hardegser Einzelhandel und die gastronomischen Betriebe und Beherbergungsbetriebe haben vom Fremdenverkehr profitiert. Viele infrastrukturelle Mahnnahmen, die Sanierung des Freibades, die Neugestaltung des Kurparks, der Umbau des Muthauses, die Entwicklung des Wildparks wären ohne die erheblichen Fördermittel für die Entwicklung des Fremdenverkehrs nicht möglich gewesen. Somit hat der Fremdenverkehr der 70er und 80er Jahre im erheblichen Maße zur Steigerung der Wohnqualität aller Bürgerinnen und Bürger geführt.

Fremdenverkehr (Signatur li_1066)

Seit Einweihung 1928 wichtige Freizeiteinrichtung für Einheimische und Gäste

Begonnen hatte der Fremdenverkehr mit den ersten Sommerfrischlern Mitte der 50er Jahre. 1954 wurden in 5 Quartieren bei 60 Betten ca. 1.400 Übernachtungen erreicht. 1964 zählte man bereits 10.000 und 1966 21.000 Übernachtungen. Durch erfolgreiche Abschlüsse mit Reiseveranstaltern und Werkverträge in der Stahlindustrie wuchs die Übernachtungszahl stetig. Ab 1970 kümmert sich ein hauptamtlich besetztes Verkehrsamt in der Stadtverwaltung um die Belange des Fremdenverkehrs.

Fremdenverkehr (Signatur li_1073)Fremdenverkehr (Signatur sch_0134)

1963 eingeweiht Stadtpark hinter der Verwaltung und Minigolf (heute Busbahnhof)

Ende der 70er Jahre entwickelte sich der Pauschaltourismus enorm, Angebote im sonnensicheren Süden wurden kostengünstig. Die Angebote in den deutschen Mittelgebirgen waren riesig. Die Anbieter setzten sich langfristig durch, die Qualität in Ausstattung und Bewirtung bieten konnten. Dazu waren vorher notwendige Investitionen notwendig, die aber oft langfristig in dem riesigen ungewissen Angebotspool der Mittelgebirge nicht abgesichert waren. Sowohl im Solling – und Hardegsen liegt nur am Rand-, als auch im Harz brachen die Übernachtungszahlen ein. Nach der Wende 1989 kamen zusätzlich die Angebote aus dem Ostharz, dem Thüringer Wald und dem Erzgebirge hinzu, in die infrastrukturell viel investiert wurde. Fremdenverkehr im früheren Sinne hatte im und vor allem am Solling keine Chance mehr. Dieser Strukturwandel ist heute besonders eindrucksvoll in Neuhaus, im Herzen des Sollings, festzustellen.

Das Werben mit »Landschaftlicher Schönheit, hübschen kleinen Orten und preiswerter Gastlichkeit in einem abwechslungsreichen Bergland zwischen Harz und Weser abseits des Massentourismus« zog nicht mehr. Gerade der Massentourismus bescherte den Kunden zunehmend günstige Übernachtungsquartiere und vielseitige Infrastruktur. Damit konnten Regionen wie der Solling, die sich nur auf Landschaft und traditionelle Beherbergungsbetriebe stützten, nicht konkurrieren. Notwendige, erhebliche Investitionen waren zu risikoreich und privat überhaupt nicht zu bewältigen.

Fremdenverkehr (Signatur sch_0110)Fremdenverkehr (Signatur li_1081)

Wichtige Anziehungspunkte Wildpark mit Keilereck und Karpark mit Muthaus

Auffallend gleichbleibend lagen die Übernachtungszahlen Anfang der 80er Jahr in Hardegsen immer knapp über 40.000. Dazu erklärte 1987 die Kurverwaltung Hardegsen schließlich, dass die Übernachtungszahlen in den letzten Jahren immer nach oben hin manipuliert worden seien, um die magische Zahl von 40.000 Übernachtungen, die für die entsprechende Wirtschaftsförderung als Grenze galten, nachweisen zu können. 1991 zählte man real nur noch 16.737 Übernachtungen, 25% davon entfielen auf den Campingplatz, etliche auf das Jugendgästehaus in Asche. Auch der Druck von sagenhaften 15.000 Exemplaren eines neuen Gastgeberverzeichnisses in diesem Jahr half nichts mehr. Es fehlte an Konzeptionen und privaten Engagement und Investitionen. Überdimensionierte Großprojekte erhielten keine Zustimmung in der Bevölkerung, hingen zu sehr an Einzelinteressen und scheiterten. So wurde z.B. Anfang der 70er Jahre in der Hoffnung auf einen Hotelinvestor ein Waldstück gleich hinter dem Abzweig der Straße nach Ertinghausen von der Bahnhofstraße umgehend ohne große Planung gerodet. Das Hotel wurde nie gebaut, die Lücke im Wald blieb.

1991 soll eine GmbH den darniederliegenden Fremdenverkehr wieder auf die Beine helfen. Die Stadt beteiligt sich als Hauptgesellschafter mit 25.000 DM am Startkapital. Den Rest sollen Gewerbetreibende, Gastronomen und Privatvermieter aufbringen, was aber nicht in dem notwendigen Maße geschah. In den folgenden 10 Jahren zahlte die Stadt eine halbe Millionen Euro in die Arbeit der GmbH und stellte die Büroräume. Erfolge, geschweige finanzieller Nutzen wurde nicht erzielt. Im Gegenteil, es musste die Notbremse gezogen werden. Im März 2002 stoppte die Stadt ihre Zahlungen an die GmbH. Die wiederum stellte Insolvenzantrag beim Amtsgericht.
Hardegsen war von 1973 bis 2010 staatlich anerkannter Erholungs- und von 1975 bis 2010 auch staatlich anerkannter Luftkurort.

Heute kümmern sich die Hardegser Übernachtungsbetriebe selbst darum, dass Gäste zu Ihnen kommen. Im Hotel »Illemann« in der Kernstadt, im Gasthaus »Hichert« in Trögen und in 9 Ferienwohnungen werden aktuell Gästebetten angeboten. Daneben bieten der Campingplatz und der Wohnmobilhafen Übernachtungsmöglichkeiten bzw. Standquartier.

 (Signatur sch_0083)

Ab den 1990er Jahren wird nicht mehr mit dem Luftkurort im Solling, sondern mit der Perle am Solling geworben